Mini-München 2020 - 40 Jahre Mini-München

40 Orte, 4 Stadtteile und 100 Betriebe:

Mini-München findet STADT! war eine außergewöhnliche Spielstadt zum 40. Jubiläum von Mini-München. Nun ist die Dokumentation erschienen

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Mini-München findet STADT! Das erweiterte Konzept der Spielstadt Mini-München 2020

von Gerd Grüneisl und Margit Maschek

Mitten in die Vorbereitungen für die 4ojährige Jubiläumsspielstadt Mini-München im Showpalast, einem ehemaligen Vergnügungsgelände für Kinder und Familien, fiel das durch die Covid-19-Pandemie bedingte Verbot aller kulturellen Großveranstaltungen. Das bedeutete das Ende  der geplanten Spielstadt Mini-München mit zum Teil bis zu 2500 Teilnehmer*innen täglich.

Mini-München in medialer Form abzuhalten, ganz abzusagen oder auf die nächsten Jahre zu verschieben, wozu durchgehend  geraten wurde und was auch im Organisationsteam erwogen wurde, stieß bei den Kindern und Jugendlichen in den Planungswerkstätten zur Spielstadt auf vehemente Gegenreaktionen. Auf die Frage hin, ob eine Aufteilung der Spielstadt in verantwortbar dimensionierte Teilstücke gelingen könnte, ohne das große Ganze  (Spiel) von Mini-München aus dem Auge zu verlieren, gab es seitens der Kinder ein eindeutiges Votum: Lasst es uns versuchen!

Die Probleme fanden sich dann in Detailfragen: Wie kann eine Spielstadt als Spiel organisiert werden, wenn sie nicht an einem Ort stattfindet? Wie lassen sich Spielhandlungen und Sinnzusammenhänge zwischen den einzelnen Stadtspiel-Bereichen, also auf Distanz, herstellen? Wie ändern sich die für das Spiel zwangsläufigen Aushandlungsprozesse? Wie werden die Mitspieler*innen in die Lage versetzt, gemeinsame Beschlüsse hinsichtlich des Spiels zu fassen? Wie lassen sich kommunikative Beziehungen aufbauen und spielerisch dynamisieren, wie situative Auftritte für viele wahrnehmbar gestalten? Wie werden Spielaktionen über den jeweils begrenzten, eigenen Ort hinaus wirksam? Diese und weitere Fragen mündeten in der generellen Fragestellung: Kann es eine Spielstadt Mini-München  auch in einer anderen Formation geben und spielen die Kinder dabei mit?

Eine Klärung war erwartungsgemäß nicht zu erreichen und die Suche danach lief auf eine gemeinsam zu treffende Entscheidung zu: Will man das Wagnis eingehen, ein neu zu organisierendes Stadtspiel aufzusetzen, auch mit der durchaus realistischen Option, dass es als kongruentes,  zusammenhängendes Konzept scheitern könnte?

Ein über die Jahre bewährtes und eingespieltes Konzept zu ändern, räumlich, strukturell  und spieldynamisch neu zu denken, erwies sich dennoch in der Planungsphase als komplizierte Herausforderung. Das hatte immer wieder Planungsschleifen zur Folge und verführte dazu,  vorschnell und vereinfachend, als Konstrukt drei bis fünf kleine Mini-München-Einheiten auf die Stadt zu verteilen. Denn das Spiel kleinteilig zu organisieren, mit jeweils wenigen Teilnehmer*innen an einem Ort, war die Grundvoraussetzung für das Spiel überhaupt. Gesucht waren Möglichkeiten, wie sich in einer Vielzahl von Orten und Räumen die Prinzipien einer Spielstadt durchgängig so abbilden ließen, dass sie als gemeinsames, kollaboratives  Handlungsfeld für alle Mitspieler*innen erkennbar wäre.

Eine Spielstadt braucht viele, qualitativ unterschiedliche Orte und Räume, bezüglich Größe, Art ihrer Nutzung und Ausstattung. Die „Spielstadt unter einem Dach“ (also an einem Ort) kann solche für sich selbst entwerfen und inszenieren und in direkter Abstimmung festlegen. Die Suche nach fremden und geeigneten Orten war demnach aufwändig und letztlich nur mit Hilfe von langjährigen Kooperationspartner*innen und vor allem der engagierten Mitarbeiter*innen der Münchner Stadtverwaltung erfolgreich. Gleichzeitig hatten diese Orte und Einrichtungen selbst mit den Folgen des Shutdowns zu kämpfen, waren zum Teil über Monate vorher geschlossen und nun mit massiven Auflagen zur Einhaltung der Hygieneregeln konfrontiert.

 

 Die Vielfalt der Orte kann an dieser Stelle nur angedeutet werden, unterlag aber bezüglich ihrer Qualität und Wahl für das Stadtspiel einem strategischen Kalkül, welches der Überschreibung des realen Stadtplans folgte:  Neben Flächen im Freien, in Parks und auf Plätzen (überbaut mit Zelten, Containern, Hütten), waren das vor allem authentische Orte – also größtenteils Räume, die auch im echten Stadtleben eine bestimmte Funktion für die Stadt übernehmen (Museen, Bibliotheken, Läden, Galerien und vor allem das Rathaus), Stadtteilkulturhäuser,  eingeführte Kinder- und Jugendkultureinrichtungen mit starkem Bezug zum jeweiligen Stadtteil und zu den Kindern vor Ort, sowie offene Veranstaltungsorte, die relativ variabel bespielbar waren. Darüber hinaus sollten die Orte gut erreichbar und untereinander mit öffentlichen Verkehrsmitteln verbunden sein.

 

Die Einteilung der Spielstadt in Stadtviertel (Ost/ Nord/ Mitte/ West) ergab sich aus der Lage der Orte, die uns zur Verfügung standen. Auf einem eigenen Mini-Münchner Stadtplan waren diese abgebildet, mit einer Legende hinsichtlich ihrer Funktionen im Spiel erklärt. Gemeinsam mit den Spielregeln, wichtigen Erklärungen zur Besonderheit des diesjährigen Stadtspiels (Registrierung aller Teilnehmer*innen, digitales Banksystem, elterliche Einverständniserklärung zur Mobilität) und dem Veranstaltungs- und Kinoprogramm war dieser Plan die Grundalge für Mini-München findet STADT!

Erwartungsgemäß entwickelten die Spielbereiche innerhalb eines Stadtteils jeweils eine starke Eigenständigkeit, trotz einer signifikanten Zuschreibung ihrer Funktionen im Gesamtspiel, durch die eine frei wählbare,  wechselnde Bespielung durch die Kinder angeregt wurde: Hochschule, Forschung und Kunstakademie, waren im Norden angesiedelt, ebenso das Klimazentrum, das Reisebüro, die große Fahrrad- und Bootsbauwerkstatt  im Olympiapark. Handwerkerhöfe gab es im Ostpark und im Westen, ebenso das Redaktionsbüro der Stadtzeitung. Bibliothek, Fernsehen und Filmwerkstatt waren im Kulturzentrum Gasteig zu finden. Und so weiter.

Jedes Stadtviertel hatte in zentraler Lage ein Bezirksamt zur digitalen Registrierung aller Kinder und für die  Ausgabe des Stadtausweises, zum Abwickeln von Lohnauszahlung und anderen Online- Bankgeschäften, einen Kiosk zum Verkauf der hergestellten Produkte und von Essenstüten, welche in einem Cateringservice von Kindern hygienisch verpackt wurden. Ein permanent auf fester Route kreisender Autoservice und ein dezentral und stadtteilweit organisierter Fahrradservice, den Erwachsene übernahmen,  sorgte für den für Mini-München typischen Kreislauf von Waren, Dienstleistungen (z.B. frisch gewaschene „Dienstkleidung“  für Müllabfuhr, Gärtnerei, Forschung), von Post (Briefe und Päckchen) und Essen. Das (echte) städtische Abfallwirtschaftsamt entsorgte zweimal die Woche ihre Container, welche die spielstadteigene Müllabfuhr täglich befüllte.

Alle Spielbereiche und Orte mussten zwangsläufig online sein, was zum Teil mit erheblichem technischen Aufwand verbunden war. So konnten die Kinder jederzeit auf die neu entwickelte Mini-München-Onlineplattform zugreifen und sie waren zusätzlich mit einer eigens installierten Telefonanlage vernetzt. Diese verband sämtliche Betriebe der Spielstadt über eine von Kindern unterhaltene Zentrale. Das Onlinesystem für die unterschiedlichsten Anwendungsfunktionen entwickelte eine Gruppe ehemaliger Mini-München-Kinder, die aus ihrer aktiven Teilnahme die Spielstadt  bis ins Detail kannten und die damals schon an einem Online-banking-System tüftelten. Gelöst werden konnte damit nicht nur die Sicherung der durch das Hygienekonzept verpflichtenden Datenerhebung (Registrierung der Kinder), es wurde gleichzeitig ein Jobvergabe- und Bezahlsystem eingerichtet, das den sonst üblichen Papierverkehr erheblich erleichterte und minderte. Es  entstand außerdem eine sich selbst stimulierende Kommunikationsplattform, auf der alle Betriebe mit eigenen Internetseiten präsent waren, die E-Mail-Verkehr untereinander ermöglichte und die Produktionen der Mini-München-Medienbetriebe  (Radio, Fernsehen, Zeitung) in Echtzeit abbildete. Bei den Kindern, die an den Schaltstellen der Spielstadt das Computersystem bedienten, löste dies ein anderes, professionell affiziertes Nutzungsverständnis wie Kommunikationsverhalten aus. Das eigene Mobiltelefon wurde dazu selbstverständlich mit genutzt, aber es gab auch genügend Möglichkeiten für Kinder online zu partizipieren, die über kein eigenes Mobiltelefon verfügten oder es vorzogen, in der Gemeinschaft daran teilzuhaben.

Mit der Dauer der Spielstadt wuchs auch die Mobilität der Kinder zwischen den Orten innerhalb der „Stadtteile“ und  – für uns überraschend! – darüber hinaus. Mehr als der Hälfte der teilnehmenden  Kinder und Jugendlichen (nahezu 13.000) wurde elternseits zugetraut, sich selbständig in der Stadt zu bewegen.

Zur gemeinsamen Veranstaltung am letzten Tag kamen die Kinder aus allen Stadtteilen der Spielstadt mitten in München auf dem zentralen Marienplatz zusammen, mit Bannern, typischen Requisiten und in ihren „Berufsbekleidungen“ und feierten den Abschluss einer gelungenen 20. Ausgabe von Mini-München.

 

Schlussbemerkung ohne abschließende Verifizierung: In wie weit kann eine solcherart aufgesetzte Spielstadt auch wieder den Stadtraum tangieren und als öffentlichen Raum qualifizieren? Wo und wie und wodurch werden die Kinder als Akteure damit sichtbar, jenseits verabsolutierter und zugewiesener Schonräume als Teil einer städtischen Gesellschaft wahrgenommen?